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Kreuzzüge brachten die Lepra ins Land - Serie Teil 4
Die Aussätzigen lebten in Friedber einst in einem eigenen Haus nahe der Kapelle St. Stephan. In Ndanda fordert die Krankheit noch immer Opfer.
22.05.2020
Bei der Kapelle St. Stephan außerhalb der Stadt im Süden befand sich das Leprosenhaus. Das Kirchlein, wie hier aus dem Jahr 1671 dargestellt, sowie das Leprosenhaus, wurden im Dreißigjährigen Krieg ein Raub der Flammen und nach dem Krieg wieder aufgebaut. Foto: Museum im Wittelsbacher Schloss in Friedberg.
„Letzte Woche kam ein 11jähriges Mädchen – ganz fingerlos! Was muß das Kind gelitten haben, bis die Finger weggefault waren...“ So schrieb Schwester Lia aus Ndanda in einem Dankschreiben dem damaligen Schulleiter der Hauptschule Friedberg, Georg Henle. Das war 1965. Neun Jahre zuvor hatte Henle eine Hilfsaktion für die Missionsstation Ndanda in Tansania ins Leben gerufen. Seit dieser Zeit fließen dorthin alljährlich Spenden aus Friedberg. Sie helfen, die größte Not zu lindern. Zu schaffen machen den Menschen dort nicht nur heißes Klima, Dürre und wilde Tiere sondern auch die Krankheiten. Noch immer ist die Lepra dort nicht ausgestorben. Sie wütet vor allem in tropischen und subtropischen Gegenden, obwohl sie doch heute als heilbar gilt.
Die Ausbreitung der Lepra in Europa wurde wahrscheinlich durch die Kreuzzüge verursacht. Die Krankheit, ausgelöst durch Lepra-Bakterien, war nicht zu verheimlichen. Sichtbar entstellte Gesichter, weiße Flecken auf den Gliedmaßen, fehlende Finger, absterbende Hände und Füße, all diese Leiden konnten sich über Jahre hinziehen. Hilflos stand man dieser schrecklichen Krankheit gegenüber.
Die Leprosen wurden wegen der Ansteckungsgefahr ausgesetzt, weshalb sie auch Aussätzige genannt wurden. Auch in Friedberg mussten die Unglücklichen für immer die Stadt verlassen. Aber so grausam, wie man im Jahr 1967 zunächst mit dem aussätzigen Simon in Tansania umgegangen ist, war man in Friedberg nicht. Nach dem Tod der an Lepra verstorbenen Eltern hatte man den sechsjährigen Simon einfach in eine Hütte zum Verhungern eingesperrt. Glücklicherweise kam der Bub, voller Wunden, in die Obhut der Missionsstation Ndanda.
In Friedberg gab es bereits in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein städtisches Leprosenhaus. Es wurde außerhalb der Stadt im Süden auf einer Anhöhe unmittelbar östlich der erstmals 1444 erwähnen Kapelle St. Stephan errichtet. Diese wurde wahrscheinlich eigens für die Bedürfnisse der Kranken erbaut, denn in der Stiftungsurkunde wurde bestimmt, dass wöchentlich einmal, wahrscheinlich für die armen Leprosen, eine Messe zu lesen sei.
Zwei Pfleger verwalteten das Stiftungsvermögen des Leprosenhauses, dessen Erträgnisse die Verpflegung der Insassen gewährleistete. Aus den Mitteln der Stiftung wurde ein extra aufgestellter Leprosenbader unterhalten.
Aus verständlichen Gründen mieden ihn die Friedberger und nahmen lieber die Dienste eines anderen Baders in Anspruch. Wegen des daraus folgenden geringeren Einkommens wandte sich der Leprosenbader Andreas Lämpl im Jahr 1686 an den Rat der Stadt und bat um finanzielle Unterstützung. Daraufhin wurde ihm ein jährlicher Zuschuss aus Mitteln des Stiftungsvermögens gewährt.
Offenbar verfügte die Stiftung über Vermögen. Jedenfalls hatte in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Stadt weit mehr als 1000 Gulden vom „armen Leprosenhaus“ ausgeliehen, um vor allem in Kriegszeiten die von den Feinden verlangten Gelder, insbesondere Brandschatzungen, aufzubringen. Auch forderten die Leprosenpfleger vor dem Rat der Stadt, dass säumige Bürger endlich ihre Schulden an das Leprosenhaus begleichen sollten. Das taten sie schon allein deshalb, weil der Rentmeister als Kontrolleur des Landesherrn ansonsten die Leprosenpfleger in Regress zu nehmen drohte. In den 60er Jahren des 17. Jahrhunderts monierte der Rentmeister, die Pfleger hätten zu viel Geld aus der Stiftung bar in Händen und befahl, die Barbestände in der Kasse auf dem Rathaus zu verwahren.
Obwohl das Leprosenhaus nur für die Kranken der Stadt Friedberg bestimmt war, fanden offenbar auch Leprosen aus der Umgebung Aufnahme. Das führte im Jahr 1681 dazu, dass die Pfleger vorübergehend um Beihilfe aus Mitteln des in der Stadt liegenden Seelhauses nachsuchten. Das Haus, das alten Bürgern der Stadt ein Unterkommen gewährte, verfügte über Gelder und Immobilien. Schon bei der Aufnahme wurde geregelt, was von der Verlassenschaft dem Seelhaus zugehen soll.
In der Zeit zwischen 1644 und 1720 gab es mindestens 8 Lepra-Fälle. Auch noch im 18. Jahrhundert forderte in Friedberg die Seuche ihre Opfer, zuletzt im Jahr 1775. Die eisernen Kreuze an der Nordseite der Kirche von St. Stephan in Friedberg sind die letzten Überreste des einstigen Friedhofs bei St. Stephan, wo die Aussätzigen ihre letzte Ruhe fanden.
Regine Nägele, © Friedberger Allgemeine